Archiv für den Monat: Januar 2015

Zwischen Kloster und Oper

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Beatrix Hollenstein betreut das «Jägerstübli» im Keller des Tonhallenschulhauses. Dort erfrischen und stärken sich die Mitwirkenden der Wiler «La Traviata»-Produktion, die derzeit in der Tonhalle aufgeführt wird.

WIL. Es ist 20 Uhr, im Jägerstübli ist es ruhig. Ein paar Bühnenarbeiter sitzen an den Tischen – mit Folie eines Sponsors abgedeckte Hobelbänke im Werkraum des Tonhallenschulhauses – und besprechen ihre Arbeit. Für Beatrix Hollenstein ist dies der Moment, wo sie selbst die «Traviata» geniessen kann: «Wenn es am Anfang der Aufführung hier unten so ruhig ist, hört man die Ouverture sehr gut». Musik, die der Beizerin und Köchin mittlerweile nachläuft, längst begleitet die «Traviata» sie im Alltag.

Klosterküche

Und diesen Alltag verbringt Beatrix Hollenstein im Kloster. Und zwar in der Küche des Wiler Kapuzinerklosters. Durch einen Zufall ist sie zu dieser Arbeit gekommen: Nachdem sie 2012 das erste Mal das Jägerstübli für die Produktion «Die Banditen» des Musiktheaters Wil betreut hatte, wurde sie nach der Dernière von einer Mitarbeiterin ihres Jägerstübli-Teams gefragt, ob sie nicht Interesse hätte, an drei Tagen in der Woche und drei Wochenenden im Monat für die Kapuziner zu kochen.

Nachdem sie sich entschlossen hatte, das Restaurant «Städeli» an der Hofbergstrasse zu schliessen, war dieses Angebot eine willkommene Herausforderung. «Quartierbeizen sterben leider aus»: Ein bisschen trauert Beatrix Hollenstein ihrem Restaurant noch nach.

Keine Unterschiede

Doch die Arbeit im Kloster macht ihr immens Freude, sie erlebt sehr viel Dankbarkeit und Freundschaft. Die Brüder nehmen auch rege Anteil an ihrer Arbeit für das Musiktheater Wil: Sie staunen, wie sie den enormen Mehraufwand an Arbeit bewältigt. «Woher nimmst du diese Energie», wurde sie gefragt. Für Beatrix Hollenstein ist dies nicht verwunderlich: «Wir haben hier so ein wunderbares Team», schwärmt sie. Das familiäre Miteinander, nicht nur innerhalb des Jägerstübli-Teams, sondern mit allen Mitwirkenden zusammen, seien es Solisten, Orchestermusiker oder Bühnenarbeiter, ist einzigartig. «Es sind unterdessen Freundschaften entstanden», so Beatrix Hollenstein. Man unterstützt sich gegenseitig, es gibt keinen Unterschied zwischen Solisten und Backstage-Arbeitern.

Suppenbüchlein

Das Kapuzinerkloster ist auf eine fast unsichtbare Weise mit «La Traviata» verbunden. In der dortigen Küche bereitet Beatrix Hollenstein die frischen Speisen für die Vorstellungen zu: Linzer Torte, Schoggikuchen – und die Suppen, für die sie berühmt ist. Heute soll es Erbsensuppe geben, aber nicht nur eine gewöhnliche Erbsensuppe. «Es ist Ingwer mit drin – was Spezielles halt.» Am Ende der Produktion will Beatrix Hollenstein wieder ein Suppenbüchlein herausgeben: Zu jeder Aufführung kocht sie eine eigene Suppe.

Bis zuletzt

Der Arbeitseinsatz beginnt freilich weit vor den ersten Klängen der Ouverture. «Eigentlich bin ich immer viel zu früh da», so Beatrix Hollenstein. Anderthalb Stunden vor Vorstellungsbeginn bringt sie die Speisen eigenhändig ins Jägerstübli. Der offizielle Feierabend findet dann zwar bereits vor dem Schlussvorhang statt: «Nach der grossen Pause dürfen wir zusammen räumen.» Der Werkraum muss schliesslich für den Schulbetrieb wieder hergerichtet werden. Aber letztlich bleibt Beatrix Hollenstein bis zuletzt und hat auch für einzelne gesellige und durstige Mitwirkende noch ein Plätzchen bereit.

Die «Traviata» wird Beatrix Hollenstein derweil nicht nur aus den Katakomben heraus geniessen können, sie will sich einmal eine Aufführung ansehen. «Bis zur Dernière schaffe ich es», strahlt sie.

«Meitli, das gibt Arbeit»

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Die Wilerin Nicole Bosshard steht ab dem nächsten Samstag als Violetta in Verdis Oper «La Traviata» auf der Tonhallen-Bühne. Die Arbeit mit Regisseurin Regina Heer erlebt sie als persönliche Bereicherung.

«Ich dachte, die sind verrückt», erinnert sich Nicole Bosshard lachend an den Moment, als Eugen Weibel, Präsident des Musiktheaters Wil, sowie der musikalische Leiter Kurt Pius Koller nach der Dernière des letzten Classic Open Airs auf sie zugekommen waren: Ob sie Interesse habe, bei der nächsten Musiktheater-Wil-Aufführung «La Traviata» die Rolle der Violetta zu übernehmen. Diese Figur in der Oper von Giuseppe Verdi ist für jede Sopranistin die absolute Traumrolle, Sängerinnen wie Teresa Stratas, Angela Gheorghiu und Anna Netrebko erlangten mit ihr Weltruhm.

Die Wiler Sopranistin, die in der letzten Musiktheater-Produktion «Die Banditen» als Räubertochter auf der Bühne stand, nahm die Herausforderung an: «Ich habe geübt wie eine Wahnsinnige.» Als nach dem Vorsingen Eugen Weibel ihr mitgeteilt habe, dass auch Regisseurin Regina Heer von ihr als Violetta überzeugt sei und sie die Rolle habe, habe sie es nicht glauben können. Die Reaktion ihres Gesangslehrers Ivan Konsulov: «Meitli, das gibt Arbeit.»

Italienisch als Herausforderung

Ein Handicap beim Studium der Rolle waren die mangelnden Sprachkenntnisse. Aber eine italienische Kollegin half ihr dabei, sie lasen die Oper mehrere Male durch. «Wobei es erst noch ein altertümliches Italienisch ist, wie meine Kollegin meinte.» Dreimal besuchte sie an der Musikakademie Basel Rainer Altdorfer, der ihr bei der musikalischen Umsetzung dieser Sprache half. «Jetzt noch gibt es Stellen, an denen Regina Heer meine Aussprache ein wenig bemängelt», erzählt Nicole Bosshard. Aber sie ist zuversichtlich, die Aussprache bis zur Premiere am nächsten Samstag tadellos hinzubekommen. Dennoch: «Es wäre ein riesiger Fehler gewesen, die Oper auf Deutsch aufzuführen.» Freilich ist es nicht einfach, die richtige Gestik und Mimik zu erzeugen, wenn man den Text nicht detailliert versteht. Aber dafür hat Nicole Bosshard die Übersetzung in den Klavierauszug eingetragen und wenn die Doppelbesetzung Andrea Hofstetter und Israel Alarcon Maizer probte, las sie die Übersetzung mit.

Die Probenarbeit erlebt die Sopranistin äusserst positiv. «Wir hatten es noch nie so gut im Team», schwärmt sie von der Zusammenarbeit mit Regisseurin Regina Heer. Sie lasse einen auch einmal etwas ausprobieren, zwinge einem ihre Regie nicht auf, und gäbe dann wirklich faire Rückmeldungen. Wenn diese «La-Traviata»-Inszenierung einen persönlichen Einfluss auf Nicole Bosshard haben wird, dann nicht die Auseinandersetzung mit der Rolle an sich, sondern diese Regiearbeit. «Regina Heer inspiriert einen zu einer besseren Selbstwahrnehmung», erzählt Nicole Bosshard. «Wie würdest Du Dich privat in dieser Situation verhalten?», fragt sie beispielsweise immer wieder. «Es war mir bis jetzt nie so bewusst, was man durch eine Körperhaltung ohne grosse Gestik alles bewirken kann.»

Moderne Inszenierung

«La Traviata» wird modern, zeitgemäss inszeniert, das Bühnenbild ist schlicht gehalten. «Es ist nicht einfach, mit so wenig auszukommen», meint Nicole Bosshard. So sei man ganz auf die Gefühle reduziert und auf deren musikalische Umsetzung. «Aber mir geht es sehr gut damit.» Auf ihre Kostüme freut sich die Sopranistin ungemein und zückt ihr Handy mit Bildern von ihr bei der Anprobe. «Das gab es noch nie, dass extra für mich Kleider genäht wurden», sagt sie. Die Zeit vom ersten Notenstudium bis zur Premiere ist streng. «Ich stehe mit Violetta auf, ich gehe mit ihr ins Bett. Oft war ich froh, wenn ich mich während der Arbeit im Büro wieder anderen Dingen widmen konnte.» Abends vor dem Einschlafen geht Nicole Bosshard Passagen durch. Stockt sie, wird das Licht angeknipst und nachgeschaut. Die Violetta Valérie ist wahrlich eine grosse Rolle, aber Nicole Bosshard fühlt sich darin wohl. Es ist eine authentische Rolle, eine Frau mit Emotionen.

“Traviata muss erzählt werden”

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Regina Heer inszeniert die „Traviata“ des MUSIKTHEATERWIL zeitgemäss. Damit folgt sie den Vorgaben des Veranstalters, der sich eine Wende gewünscht hatte.

Modern sollte sie werden, die Wiler „Traviata“, zeitgemäss. Dies war die klare Vorgabe der Theaterkommission, und mit diesem Ziel, ein Gegenstück zum  Bisherigen zu schaffen, ging man auf die Suche nach einem geeigneten Regisseur, einer geeigneten Regisseurin. „Ich war gerade auf einer Velotour, als der Anruf von Kurt Koller kam“, erinnert sich die Baslerin lachend. Gemeinsam mit Koller und Präsident Eugen Weibel war sie dann auf die Suche nach einem Werk gegangen.

Giuseppe Verdis Oper „La Traviata“ eignet sich hervorragend für eine zeitgemässe Inszenierung: Die extrem hohe Emotionalität der Handlung spiegelt sich aufs Grossartigste in der Musik wieder. „Ich stehe dieser Oper sehr nahe“, erzählt die Regisseurin, die mit diesem Werk ein emotional sehr tiefes Erlebnis in einer früheren Produktion verbindet. „Wenn es mir nicht gut geht und ich höre diese Musik, kann ich loslassen – einfach wunderbar.

„Der Chor ist super“

Warum eine moderne Inszenierung?  Warum keine Krinolinen und Rüschen? „In einer zeitgemässen, oder besser zeitlosen Inszenierung kann die emotionale Ebene viel direkter umgesetzt werden“, so Heer. Wie war die Regisseurin dann an die Entwicklung der Inszenierung herangegangen? „Wir, Bühnenbildnerin Marion Menziger, Kostümblidner Bernhard Duss und ich, sitzen zusammen und überlegen, wie wir diese Oper erzählen wollen. Nach anfänglichem, herrlich ferien Spintisieren wird dan immer konkreter, wo wir den Fokus legen“, erzählt Regina Heer. Es gebe Opern, denen ein verfremdendes Konzept gut ansteht, aber „La Traviata“ muss ganz direkt erzählt werden. Und das bietet bei der Interpretation Spielraum. Vieles entwickelte sich auch während der Probenarbeit und da ist die erfahrene Opernregisseurin und Dozentin schlichtweg begeistert von ihrem Wiler Team: „Der Chor ist super“, schwärmt sie. Sehr präsent, spiel- und experimentierfreudig, diszipliniert und bringt vollen Einsatz.

Mit Bühne vertraut werden

Auch das Solisten-Ensemble ist sehr gelungen, die Arbeit macht schlichtweg Freude. Humor ist auch etwas, ohne das sich Heer ihre Arbeit nicht vorstellen kann. „Wir haben eine sehr gute Probenatmospäre“, schwärmt sie. Die Darsteller sollen sich zuhause fühlen, sicher, gemäss der Regel: „Make the stage a safe place“. So probieren sie aus, ohne Angst vor einer Abkanzlung durch den Regisseur.

Eine weitere Herausforderung ist für Regina Heer die Doppelbesetzung von Violetta und Alfredo. „Es sind zwei grundverschiedene Paare und ich probe häufig separat“, erzählt Heer aus ihrer Probenarbeit. So entwickelte jedes Paar auch eine eigene Sprache, eine eigene Regie. „Mit beiden Paaren die gleiche Regie zu poben, wäre nicht nur unstimmig, das hätte mich schlichtweg gelangweilt.“ Der einzige, der dadurch doppelte Arbeit leisten muss, ist Niklaus Kost, der Alfredos Vater, Giorgio Germont, singt und im zweiten Akt zwei grosse Szenen mit Alfredo und Violetta hat. „Er muss sich zwei verschiedene Inszenierungen verinnerlichen“, erläutert Heer diese Komplikation. Aber nicht umsonst hat sie die Probenarbeit mit den Solisten bereits sehr früh begonnen.

Seit dieser Woche wird in der Tonhalle geprobt. Platz fürs Experimentieren gibt es jetzt weniger, denn jetzt geht es darum, in diesem Raum anzukommen und im Originalbühnenbild heimisch zu werden.