WIL Der Wiler Coiffeur Marcel Schweizer steht im „La Traviata“-Chor auf der Bühne. Doch er ist auch für die Frisuren der Mitwirkenden zuständig – und das vor jeder Vorstellung.
Es ist ein Doppeljob, den Marcel Schweizer zu erledigen hat. Einerseits muss er mit seinem Team (Prisca Virdori und Marco La Gioia) die Darsteller des Musiktheaterwil frisieren. Andererseits muss er sich aber auch selbst für seinen Auftritt vorbereiten: Als Mann der Pariser Gesellschaft, der den Genüssen des Partylebens frönt. So leichtfüssig und elegant sich die Musik Verdis auch anhört: Diese Leichtigkeit ist nur mit absoluter Präzision zu erreichen und Dirigent Kurt Koller fordert von seinen Sängern genau dies: Absolute Präzision.
Die Inszenierung von Regina Heer verlangte allerdings etwas Neues: Sie sah jeden Choristen, jede Choristin als Individuum und setzte diese genauso ein. „Es gibt keine dieser verpönten Chor Lines“, schwärmt Schweizer. „Wir konnten unsere eigene Figur entwickeln, auch akzeptierte die Regisseurin nicht, dass immer die gleichen Choristen in der vordersten Reihe agieren.“
Stress vor dem Auftritt kann Marcel Schweizer nicht brauchen, aber dies passiert dem routinierten Theatermann schon lange nicht mehr.
Perfektes Timing
Zweieinhalb Stunden vor Vorstellungsbeginn trifft Marcel Schweizer in der Tonhalle ein und bereitet alles vor. Früher sei es vorgekommen, dass er nicht rechtzeitig fertig wurde: „Es gab auch schon Produktionen, in denen ich mich in einem günstigen Moment in die Szene einschleichen musste“. „Showboat“ aus dem Jahr 1997 kommt ihm dabei in den Sinn: „Wir mussten vor der Vorstellung 35 Perücken montieren und dann zwischen zwei Akten innert fünf Minuten die Darsteller auf die Zeit 30 Jahre später umfrisieren“, erinnert sich Schweizer. Doch bei der „Traviata“ ist alles perfekt getimt, vor Vorstellungsbeginn müssen alle Darsteller fertig geschminkt, frisiert und angekleidet sein.
Während der Probenarbeit konnte sich Schweizer noch ganz auf seine Rolle und die Musik konzentrieren. Dennoch ratterte es bereits in seinem Hirn: „Wie würde ich diese oder jene Person frisieren?“. Streng wurde es dann erst in der Endphase der Probenarbeit, als Kostüm und Maske die Grundlage für die Frisur gaben: „Erst dann bekommt man den richtigen Eindruck von der Figur, die dargestellt werden soll“. Es sind nicht nur die Kleider, die die Leute machen.
Wohlbefinden
Bei der ersten Kostümprobe hatte Marcel Schweizer die Gelegenheit, die Darsteller nach seinen eigenen Vorstellungen zu frisieren. Die zeitlose Inszenierung von Regina Heer benötigt keine Perücken, vielmehr geht es darum, den gesellschaftlichen Status der Personen widerzuspiegeln, bzw. authentisch, natürlich zu erscheinen. „Zusammen mit Kostümbildner Bernhard Duss besprachen wir dann die endgültige Frisur“, erläutert Schweizer die Vorbereitung.
Und wie sieht es mit dem Mitspracherecht der Darsteller aus? „Grundsätzlich vertrauen die Chorfrauen unseren Haarkünsten und der jahrelangen Routine“, erklärt Schweizer. „Wenn es dann doch etwas zu extrem wird, versuchen wir, die Betreffende zufrieden zu stellen“. Denn letztlich ist das Wohlbefinden, das Gefühl der Sicherheit auf der Bühne in Kostüm, Maske und Frisur massgeblich für einen natürlichen Auftritt.
Anspannung ist wichtig
Sich selber zu frisieren liegt für die Darsteller nicht drin. „Ich stehe mit meinem Namen für die Frisuren“, erklärt Marcel Schweizer. Und daher ist es nötig, dass er und sein Team die Kontrolle behalten: Und das heisst auch, während der Vorstellung zu kontrollieren und zu korrigieren, sollte einmal etwas durcheinander geraten sein.
“Für Marcel Schweizer ist die „Traviata“ die 18. Produktion, in der er in der mitwirkt. Sein Vater arbeitete viele Jahre in der Maske, und so erwischte der junge Marcel den Theatervirus 1960 im Zar Saltan wo er seinem Vater im Ressort Maske mithalf. 1963 stand er dann im „Schwarzen Hecht“ das erste Mal selbst auf der Bühne, in einer kleinen Rolle als Zirkusboy. „Obwohl ich nichts zu singen hatte, war ich schrecklich nervös“, erinnert sich Schweizer.
Nach all den Jahren hat sich die Nervosität gelegt, dennoch: Die Anspannung ist wichtig. „Diese Anspannung ist die Voraussetzung für eine gute Bühnenpräsenz“, sinniert Schweizer.